Insgesamt muss man sagen, dass wir riesiges Glück mit dem Wetter hatten auf dieser ganzen Reise. Von wenigen kurzen Schauern abgesehen, hatten wir überhaupt nur zwei Regentage, oder genauer gesagt nur einen und einen halben. Der halbe Tag war der am Lake Weyba am 3. Oktober, und der ganze Tag war der 18. Oktober, über den ich hier berichte. Zum Glück konnten wir in der Rezeption unserer Unterkunft einen großen Regenschirm ausleihen.
Unser Cottage, also unsere vorletzte Unterkunft in Tasmanien, gehörte zu der kleinen Ortschaft Port Arthur, und diese ist nur etwa 2 km von der gleichnamigen UNESCO-Weltkulturerbestätte entfernt. Hierbei handelt es sich um ein Museum (zum größten Teil Freilichtmuseum) auf dem Gelände eines früheren Strafgefangenenlagers. Dieses Lager wurde im Jahr 1830 ursprünglich als Holzfäller-Camp errichtet und ab dem Jahr 1833 als Strafkolonie genutzt und zu diesem Zweck über etliche Jahre hinweg kontinuierlich ausgebaut. Nur Wiederholungstäter wurden hierher verlegt – nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder ab dem Alter von 9 Jahren. Bis in die 1850er Jahre hinein wurden Häftlinge dieser Strafkolonie zugewiesen – insgesamt waren es wohl etwa 12.000 Personen. Aber tatsächlich bestand die Strafkolonie bis 1877, und auch danach verblieben etliche der Häftlinge am gleichen Ort – teils wurden sie Siedler, teils aber waren sie auch in der Haft psychisch erkrankt und daher nicht mehr in der Lage, ein eigenständiges Leben in Freiheit zu führen. Für diese ehemaligen Häftlinge richtete man eine Art Pflegeheim ein; gleichzeitig wurde der Ort aber auch touristisch erschlossen und vermarktet.
Heute betritt man das Gelände durch ein großzügiges modernes Gebäude, dem Visitor Centre, in dem neben den Schaltern für Eintrittskarten ein Shop, eine Cafeteria, und eine Ausstellung zur Geschichte der Strafkolonie untergebracht sind. Die Ausstellung umfasst unter anderem auch ein Modell der gesamten Anlage, wie es zur Mitte des 19. Jahrhunderts aussah.
Da es weiterhin regnete, erkundigten wir uns, welche der Gebäude betreten und „trockenen Fußes“ besichtigt werden können. Tatsächlich gibt es heute neben dem Visitor Centre nur noch drei intakte historische Gebäude; die anderen Gebäude, etwa 30 an der Zahl und allesamt nur von Häftlingen erbaut, sind nur noch Ruinen, denn sie wurden durch zwei Waldbrände bzw. Buschfeuer, die hier in den 1890er Jahren wüteten, zerstört.
Wir spannten also den Regenschirm auf und lenkten unsere Schritte an der Bucht, dem ehemaligen Hafen entlang zum „Commandant’s House“, dem Wohnhaus der früheren Kommandanten der Kolonie. Zu der damaligen Zeit war der Hafen die einzige Verbindung zur Außenwelt. Um Fluchtversuche zu unterbinden, war es den Besatzungen der hier anlandenden Schiffe strikt verboten, mit den Häftlingen in Kontakt zu treten; zudem waren sie verpflichtet, schon bei der Ankunft die Segel und Ruder abzugeben und sie beim Hafenmeister bis zur offiziell genehmigten Abreise zu hinterlegen.
Das „Commandant’s House“ ist das größte der noch komplett erhaltenen bzw. restaurierten Gebäude. Wir wurden dort von einem Guide begrüßt, der wenige Minuten später mit einer Hausführung begann, zu der sich etwa 8 Teilnehmer eingefunden hatten, uns eingeschlossen. Die Erläuterungen des Guide waren in der Tat sehr hilfreich, sie schilderten die Historie des Hauses in lebhaften Farben und in (auch für uns) gut verständlichem Englisch. So gab es seit der Errichtung immer wieder Anbauten und Erweiterungen, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. In der ersten Ausbaustufe gab es nur drei Wohnräume, da der erste Kommandant hier nur allein mit zwei Bediensteten lebte. Der zweite Kommandant hingegen veranlasste umfangreiche Anbauten, damit er mit seiner Frau und seinen Kindern hier wohnen konnte und damit auch Abendeinladungen möglich wurden, d.h. das Haus wurde so auch zu einem Mittelpunkt des sozialen Lebens.
Später, nach Schließung der Gefängnisanlagen im Jahr 1877, wurde das Kommandantenhaus in ein kleines Hotel umgewandelt und zu diesem Zweck nochmals erweitert. Das Hotel bestand viele Jahrzehnte lang. Der Reiz von Port Arthur als touristisches Ziel lag begründet in der Kombination aus landschaftlicher Schönheit der Umgebung und der nun vergangenen Nutzung als Straflager, die viele Menschen neugierig machte. Diese Neugier wurde durch Presseberichte und durch zwei Romanveröffentlichungen (1859 und 1874) noch befeuert – und mancher Besucher kam bzw. kommt wohl auch hierher, um nach einem Vorfahren zu recherchieren.
Eine eindrucksvolle Wirkung ging auch von der Ruine der Kirche aus, die in schon den 1830er Jahren errichtet wurde – von Strafgefangenen wie gesagt, wie überhaupt alle historischen Gebäude auf dem Areal. Der Besuch der sonntäglichen Gottesdienste war Pflicht für die Gefangenen. Es handelte sich hierbei um eine der ersten nicht-konfessionsgebundenen Kirchen in ganz Australien.
Auch eine kleine Parkanlage, die Government Gardens, erstreckt sich zwischen Kirche und Visitor Centre, die ebenfalls von Häftlingen angelegt wurde, aber natürlich zur Erholung der zivilen Bediensteten (und nicht der Häftlinge) diente; heute wird die Anlage überwiegend von freiwilligen Helfern gepflegt.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit kehrten wir zu unserem Cottage zurück.